Nasir Uddin und der Gelehrte

Nasir Uddin und der Gelehrte

Einst wurde ein König namens Nasir Uddin sehr, sehr fromm. Er lehnte es ab, für seine eigenen Bedürfnisse Geld aus der königlichen Schatzkammer zu nehmen. Um zusätzliches Geld zu verdienen, fertige er selbst handgeschriebene Kopien des Koran an und verkaufte diese Bücher dann. Er stellte auch einige andere Dinge für den Verkauf her, und auf diese Weise deckte er seine persönlichen Ausgaben.

Eines Tages kam ein großer Pandit [ein religiöser Gelehrter] zu seinem Palast, um ihn zu besuchen. Es begab sich, dass Nasir Uddin gerade den Koran abschrieb und der Pandit sah ihm für einige Zeit zu. An einem Punkt hörte der König auf zu schreiben und begann mit seinem Gast zu sprechen. Der Gelehrte sagte zu ihm: “ Eure Majestät, unglücklicherweise haben sie einen Fehler in dem Wort gemacht, welches sie kopiert haben.“

Nasir Uddin machte einen Kreis um das Wort, das der Pandit korrigieren wollte. Dann radierte er es aus und setzte jenes Wort ein, welches ihm der Pandit sagte. Der Pandit war sehr glücklich darüber, dass der König auf ihn gehört hatte. Einige Zeit später verließ der Pandit den Palast. Sobald er gegangen war, entfernte der König das Wort abermals, und setzte das Wort ein, welches er ursprünglich verwendet hatte.

Seine Wächter fragten ihn: „Warum tun sie das? Wenn es von Anfang an das richtige Wort war, warum haben sie es geändert?“

Der König antwortete: „Obwohl ich der König sein mag, ist er ein Pandit und er weiß auf diesem Feld weit mehr, als ich es tue. Unglücklicherweise hat er in diesem Fall einen Fehler gemacht. Er lag falsch, und ich lag richtig. Wenn ich ihm aber gesagt hätte, dass er falsch liegt, wäre sein Stolz zutiefst verletzt gewesen. Ich weiß, dass er bei weitem mehr über die Schriften weiß als ich. Also schrieb ich das falsche Wort auf, um ihn nicht bloßzustellen. Aber nun möchte ich das falsche Wort nicht stehenlassen. Sonst wird die Person, die das Buch kauft, die falsche Version haben.“

„Es ist nicht gut, Menschen zu verletzen, selbst wenn man Recht hat. Es macht mir nichts aus, demütig zu sein, wenn es um Wissen geht. Aber wenn er mir einen Rat gegeben hätte, wie ich mein Königreich regieren soll, denkt ihr, ich hätte auf ihn gehört? Mein Königreich zu leiten, ist eine andere Geschichte. Aber es ist immer gut jemandem Respekt zu erweisen, wenn er auf seinem eigenen Gebiet groß ist.“

 

Sri Chinmoy, Illumination-experiences on Indian soil, part 1, Agni Press, 1974